Schon wieder kurz vor den Sommerferien - unglaublich wie die Zeit rennt. Und ich habe mein Versprechen nicht halten können, öfter kurze Artikel zu schreiben. Damit ich nicht mit einem schlechten Gewissen in die Ferien gehe, will ich gerne ein paar Gedanken teilen.
Gemeinsam mit Rick Janda durfte ich an der LAS’22 einen gut besuchten und bewerteten Beitrag zu “Scaling Agile” leisten. Und auch in diesem Rahmen wurden Fragen gestellt zu was immer mehr zu interessieren scheint: man hat ein agiles Framework eingeführt und - Überraschung - nichts wurde besser. An dieser Stelle schreiben dann viele Autoren von den Klippen und Hürden auf Mitarbeiterebene. Das ist mit Sicherheit eine Baustelle - aber Leute, ernsthaft jetzt: die grössere Baustelle befindet sich meiner Meinung nach einige Etagen weiter oben.
Ich will an dieser Stelle gar nicht bestreiten, dass es Mitarbeiter gibt, die wissen, welche Antwort man geben muss, um dann dennoch nach anderen Prinzipien zu handeln (Gemba würde hier mehr bringen als ein Interview :)). Das wissen andere aber auch. Und wenn wir ehrlich sind ist der Einfluss auf den Erfolg eines agilen Modells beispielsweise auf Teamebene nur auf die vom Team direkt beeinflussbaren, resp. im Team bekannten Inhalte beschränkt. Zusätzlich funktioniert im Team eine gegenseitige “Begleitung” (man könnte auch Kontrolle sagen) meist relativ gut.
Deswegen - mindestens aus meiner Sicht - kann eine Person im Top Management bewusst oder unbewusst weiterhin gegen ein funktionierendes agiles Modell arbeiten. Und zwar beispielsweise wie folgt:
Das Management lässt Inhalte von hierarchischen Rollen (z.B. Head of’s) anstelle von den Ablaufrollen (z.B. PO) erarbeiten
Ein Ziel von Agilität ist, dass Bedarf und Kapazität in ein grobes Gleichgewicht kommen - und ein zweites, dass die Verantwortung für ein Produkt in ein (interdisziplinäres) Team delegiert wird. Solange ein “Head of” keinen Anreiz dafür hat, dieses Gleichgewicht herzustellen (d.h. Leute anders einsetzen, umschulen, “nicht das eigene Gärtchen pflegen”, etc.) oder die Verantwortung für ein Produkt in ein Team abzugeben, kann die Verantwortlichkeitsmatrix nicht vereinfacht werden.Das Management hält sich nicht an die vereinbarten Prinzipien
Erneut: ob bewusst oder unbewusst sei hier gar nicht die Frage. Fakt ist, dass es nicht zu Einfachheit beiträgt, wenn man als “Head of” entscheiden kann, sich frei von Konsequenzen nicht an Prinzipien zu halten. Und das oft, obwohl man von einem Heer von (teuren) Agile Coaches begleitet wird. Solange Prinzipien nicht niedergeschrieben, verabschiedet und verbindlich gemessen werden, habe ich als “Head of” keinen Anreiz, mich anders zu verhalten. Das bringt uns auch gleich zum nächsten Punkt.Das Management verlangt keine Veränderung - “act your way to a new way of working”
So lange Prozesse und Vorgesetzte ein Abweichen von einem agilen Modell tolerieren, wird keine oder nur ungenügende Veränderung eintreten. Was das sein könnte? Nun… Steerings gehören meiner Meinung nach abgeschafft, weil dort nur wieder Aufträge quer zur Ablauforganisation durch die Räume geistern. Boards für “Show & Dance” machen keinen Sinn, wenn dort “nur” Line Management sitzt. Auch hier ist die Versuchung gross, Aufträge vorbei an der Ablauforganisation mitzugeben / mitzunehmen. Es hilft übrigens auch nicht, gleich von Beginn weg sein eigenes agile Framework aufzusetzen - es wäre meiner Meinung nach viel sinnvoller, sich von einem Framework zu emanzipieren, sobald man es einmal zum Funktionieren gebracht hat.Das Management hat “Inverse Taylor” nicht konsequent umgesetzt
Einige Bereiche sind weiterhin tayloristisch aufgestellt, andere bereits in einem interdisziplinären Team. Der Klassiker ist dabei aus meiner Sicht, dass das Team nach Taylor die Konzepte / Produktideen schreibt (nicht die Problemstellung / Benefit Hypothese) und an das interdisziplinäre Ablaufteam zwecks Umsetzung übergibt. Ich kann es nicht genug betonen: ein agiles Team als Delivery einzusetzen macht wirklich wenig Sinn, wenn man agil arbeiten will.Das Management hat “Respond to change” als Versprechen von Agilität falsch verstanden
Natürlich kann man im agilen Zusammenarbeitsmodell rascher auf Veränderung reagieren - weil man beispielsweise in kurzen Iterationen entwickelt und die Ergebnisse dieser Iterationen rasch auf den Markt bringt. Das bringt aber nichts, wenn ich ein riesiges Vorhaben in Iterationen aufteile und doch erst nach “Lieferung” von allen Iterationen an den Markt gehe. Und es bringt erst recht nichts, wenn die Anforderungen für dieses riesige Vorhaben alle drei Wochen ändern, obwohl bereits entwickelt wird. Das ist nicht “respond to change”, sondern “watch money burn”.Das Management nominiert vertraute “Dinosaurier” als agile Rollenträger
Wenn man es nun mal nicht anders kennt, kann man eben auch nicht anders. Und wenn ich dann diese Dinosaurier noch mit Rollen versehe, in welchen die Veränderung federführend getrieben werden sollte, sollte ich mich nicht wundern, dass wenig bis nichts passiert. Oder dass über die Zeit aus einem agilen Konstrukt ein hocheffizienter Projektladen geworden ist, sodass ich mich als Manager wieder wundere, was denn an der agilen Arbeitsweise anders sein soll im Vergleich zu bisher und den Rückschritt gar nicht bemerke.Das Management weiss es besser (aka “Micromanager”)
Zugegeben, ich glaube auch , dass nur mit mir Dinge einfacher / klarer / erfolrgeicher werden. Es ist halt einfach cool, das Gefühl zu haben, fähiger als alle anderen zu sein. Wenn es dann aber so weit geht, der Einfachheit der Lösung mehr Platz einzuräumen als der Nachhaltigkeit der Lösung, entspricht das eher dem Lebensmotto “nach mit die Sintflut”. Dass das dann zu gebauten Lösungen führt, die im Lifecycle dann behoben / verändert / abgelöst werden müssen ist egal - es hat ja keine Konsequenzen. Resp. meistens ist dann einfach die IT schuld, weil es ja nicht so funktioniert, wie ich es im Powerpoint gezeichnet hatte. Ah, guter Übergang zum nächsten Punkt.Das Management handelt tendentiell pragmatisch, wenn nicht sogar opportunistisch
Mein Lieblingsthema. Man entscheidet nicht für das, was richtig ist, sondern das, was gerade dringend scheint. Auch hier: natürlich muss es für solche Dinge Platz haben. Dennoch scheint man nicht bereit zu sein zu investieren, sondern will für sein Geld möglichst viele Themen parallel machen. Geht auch ein bisschen ins Thema “Flusseffizienz vs. Ressourceneffizienz”, aber noch viel mehr in falschen Opportunismus und Pragmatismus. “Es funktioniert ja” ist dann meistens die Antwort - wobei ich jeweils fragen würde, ob es denn richtig ist…
Bitte versteht mich richtig: ich sage nicht, dass es keine Hierarchien mehr braucht. Aber ich glaube sehr, dass die klassischen Hierarchien überholt sind und es für einen funktionierenden Ablauf eigentlich keine klassischen Hierarchien mehr braucht. Ich gehe sogar so weit, dass ich behaupte, dass die klassischen Hierarchien - die im Rahmen der agilen Transformation selten bereinigt oder gar beseitigt werden - einen Grossteil der Schuld daran tragen, dass der Schritt von “doing agile” zu “being agile” nicht funktionieren wird.